Was ein Mann haben muss, um „ideal“ zu sein

Veröffentlicht am 3. März 2022

„Jungenwelten“-Projekt geriet für 37 Jungen und ihre Betreuer wieder zu einer wertvollen Erfahrung

VON LEONIE CRAES im Warsteiner Anzeiger am 1.3.2022

Neben dem „Mädchenwelten“-Projekt organisiert das Europagymnasium Warstein jährlich auch die „Jungenwelten“ im Gemeindehaus St. Pankratius. Die Lehrer Andreas Burger und Claus Finger begleiten diese besondere Woche schon seit vielen Jahren, zum ersten Mal war in diesem Jahr auch Johannes Kudling dabei. Die Lehrer wurden während des Projekts von Andreas Plotz, Mitarbeiter der Caritas Beratungsstelle Belecke, Lennart Limbach, Student Sozialpädagogik, und Marcel Rotermund von der Malteser Familienhilfe unterstützt. Das jährlich stattfindende Projekt musste vergangenes Jahr coronabedingt ausfallen. Aber vergangene Woche konnten sich wieder 37 Jungen auf eine spannende Zeit freuen, wenn auch mit strikten Hygienemaßnahmen: In jedem Raum gab es Desinfektionsmittel und die drei Gruppen testeten sich täglich.

Am ersten Tag drehte sich alles um das Kennenlernen innerhalb der Gruppen und das „Idealbild des Mannes“. Die Jungs der neunten Klassen wurden in gemischte Gruppen eingeteilt, was bei einigen zuerst ein „komisches Gefühl“ auslöste, während andere Gruppen bereits sehr vertraut miteinander waren. Um die Situation zu entspannen, sollten die Teenager sich durch ein Ecken-Spiel besser kennenlernen, bei dem ein Betreuer eine Frage stellte und die Jungen sich ihrer Meinung gemäß in einer der Ecken positionierten. Außerdem sollten alle persönliche Gegenstände mitbringen, die ihnen wichtig waren. Nacheinander stellten die Neuntklässler und ihre Betreuer einander die Mitbringsel vor und erklärten, warum sie diese Sachen gewählt hatten.

Im Anschluss erhielten die Neuntklässler eine Wochenaufgabe: Jeder von ihnen sollte eine Person aus seiner Gruppe beobachten und positive Aspekte seines Handelns notieren. Am Ende der Woche sollten sie von ihren Beobachtungen berichten.

Im weiteren Verlauf des Tages widmeten sich die Gruppen dem Thema „Idealbild des Mannes“. Die Jungen skizzierten ihre Körper auf Papier und markierten anschließend, was sie an sich mögen. Im offenen Gedankenaustausch diskutierten die Anwesenden, was ein Mann ihrer Meinung nach haben muss, um „ideal“ zu sein. Mithilfe einer Umfrage wollten die Teilnehmer des Projekts Meinungen einholen. Am Ende des Tages kamen sie zu dem Entschluss, dass es kein Idealbild gäbe. „Viele Antworten hatten wir in der Form vorher schon vermutet“, erzählte Nic, woraufhin Fabian ergänzte: „Es war für uns aber trotzdem überraschend, wie oft Charaktereigenschaften genannt wurden“.

Anschließend beschäftigten sich die Jungen mit der Frage: Welche Erwartungen haben Frauen an uns Männer? Dazu sollten sie als Hausaufgabe mehrere Mädchen und Frauen zu diesem Thema befragen. Am Ende wurde das Gelernte und Erlebte reflektiert: Was hat mir gefallen? Wie fühle ich mich in meiner Gruppe?

Der Dienstag begann mit einem gemeinsamen Frühstück. Nachdem die Kleingruppen sich wieder in ihren Räumen zusammengefunden hatten, beschäftigten sie sich mit den Ergebnissen ihrer Hausaufgaben. „Mir ist aufgefallen, dass junge Mädchen viel Wert darauflegen, dass ein Junge nett und freundlich ist, während ältere Mädchen und Frauen besonders oft erwähnten, dass ein Mann treu und ehrlich sein sollte“, berichtete Lars. Anschließend wurde diskutiert, inwiefern Soziale Medien wie Instagram, TikTok oder Snapchat unsere Idealbilder beeinflussen.

Um die übrigen Spannungen zu lockern und das Vertrauen zueinander zu verstärken, organisierten die Betreuer verschiedene Vertrauensübungen. Beispielsweise wurde einer der Jungen mit verschlossenen Augen von einem anderen durch das Gemeindehaus und die Umgebung geführt. „Wir sollten lernen, Verantwortung abzugeben aber auch zu übernehmen“, erklärte Lars. Im Zusammenhang mit den Themen Verantwortung und Vertrauen tauschten sich die Jungen über ihre Erfahrungen mit Mobbing, Ausgrenzung und Beleidigungen aus.

Am dritten Tag drehte sich alles um die Themen Sucht und Zukunft. „Zuerst wurden uns Fallbeispiele vorgelesen und wir mussten dann zuordnen, ob es sich bei dem beschriebenen Verhalten um eine Sucht oder keine Sucht handelt“, berichtete Nic. „Wir waren echt überrascht, wonach man alles süchtig werden kann: lesen, zocken… Das war sehr interessant“, merkte Lars an.

Danach drehte sich alles um die Zukunft und die Frage: „Wer und wie möchte ich mal sein?“ Es wurden verschiedene Fragen wie „Ab welchem Alter dürften eure Kinder bei potenziellen Partnern oder Partnerinnen übernachten?“ oder „Ab welchem Alter dürften eure Kinder Alkohol konsumieren?“ diskutiert. Die Meinungsdifferenz war groß. Die Jungen selbst waren über die verschiedenen Ansichten sehr überrascht. Anschließend nahmen die Betreuer die Schüler mit auf eine Traumreise in ihre „30er Jahre“. Die Teenager sollten sich ihr zukünftiges Auto und Haus oder auch eine Familie und eine bestimmte berufliche Karriere vorstellen. Daraufhin notierte jeder von ihnen drei Wünsche für die nächsten fünf und drei für die nächsten fünfzehn Jahre. Jeder formulierte für sich Aussagen zu den Sätzen „Mit 30 bin ich/habe ich und kann ich…“

Es folgte eine Komplimenterunde, bei der die Jungen allen anderen Teilnehmern ihrer Gruppe ein Kompliment machen sollten. Die Gruppe resümierte: „Das war echt ungewohnt“. „Ich fand die Aktion richtig gut und denke, dass es schade ist, dass wir Jungs oft weniger Komplimente bekommen oder einander machen“, so Lars.

Mit dem Schwerpunkt „Sexualität- Liebe, Sex und Beziehungen“ begann am Donnerstag auch schon der letzte Tag dieser spannenden Woche. Zuerst wurden anonyme Fragen geklärt, dann sollten die Jungs Fragen der Betreuer beantworten und diskutieren. Ein großer Fokus lag auf dem Thema Verhütung und dem ersten Mal: Wie können Männer und Frauen verhüten und sich auch noch bestmöglich vor Krankheiten schützen? „Viele Sachen kannten wir schon aus dem Bio-Unterricht, aber es war trotzdem interessant mal neue Sichtweisen zu hören“, erzählte Fabian.

Insgesamt schilderten die Neuntklässler vor allem positiven Erfahrungen mit dem „Jungenwelten“-Projekt: „Ich habe viel über Freundschaften und Kommunikation gelernt, da kann ich einiges mitnehmen“, erklärte Lars und Fabian erzählte, dass die Gruppenerarbeitung und die Atmosphäre einfach mega gut gewesen wären: „Wir haben unsere eigenen Insider-Witze entwickelt und die gemeinsamen Pausen waren echt cool“. Das lockere Verhältnis zu den Lehrern wurde ebenfalls einstimmig gelobt.

Claus Finger, der Vertrauenslehrer des Warsteiner Gymnasiums, erwähnte, wie sehr sich das Team gefreut habe, das Projekt dieses Jahr wieder veranstalten zu können: „Natürlich ist es mit den Masken nicht so persönlich und auch Berührungen sind nur teilweise möglich, aber insgesamt hat alles trotzdem sehr gut geklappt“. Er beschrieb das Projekt als „immer im Fluss“, da das Programm stets verändert und überarbeitet wird. Die heutige Jugend wird viel stärker durch die Sozialen Medien und das Umfeld beeinflusst, daher „müssen wir das Programm an die Lebenswelt der Jungs anpassen. Facebook ist heute kein Ausgangspunkt mehr für ein Gespräch über die Sozialen Medien“, merkte Andreas Burger an. Finger berichtete außerdem, dass es sich bei dem Projekt „Jungenwelten“ um eine ursprüngliche Aktion der Gewaltprävention handle. „Neue Lehrer und externe Betreuer bringen immer neue Impulse mit“, so Claus Finger.

Das Lehrerteam erklärte sich über die Teilnahme der Externen aus verschiedenen Einrichtungen sehr dankbar: „Sie bereichern unsere Gruppen, da sie anders mit den Jungs reden und das ganze aus einer sozialpsychologischen oder therapeutischen Perspektive betrachten können“, berichtete der Vertrauenslehrer. Den Teenagern soll ein Raum geboten werden, in dem sie über alles reden können. „Doch auch wenn die Jungen nur Zuhören ist das völlig okay!“ , ergänzte Burger, „es liegt an jedem selbst, was er von diesen Tagen hat“.

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