Zehn Schülerinnen und Schüler der Stufen EF und Q1 hatten sich für den Austausch beworben. Neben formalen Aspekten mussten Angaben zu Interessen, Hobbys, Allergien und Haustieren gemacht werden. Die amerikanischen Austauschschüler konnten dann mit Blick auf ihre eigenen Vorlieben und Lebensweisen die Person auswählen, die am besten zu ihnen passt.
Hier zeigten sich leider die Auswirkungen der dreijährigen Corona-Pause: Die Anzahl der amerikanischen Austauschschüler war um einiges niedriger als in den Jahren vor der Pandemie. Deshalb bekamen leider nur vier der zehn Schülern eine positive Rückmeldung bezüglich ihrer Bewerbung. Doch nicht nur am Europagymnasium machte man diese Erfahrung: Insgesamt reisten nur 80 statt sonst 300 Schüler aus Deutschland nach Amerika.
Christian und Lea Schorstein, Carolina Kiehnscherf und Alexander Fischer waren die vier Glücklichen aus Warstein, die eine Woche vor den Osterferien die abenteuerliche Reise antraten. Christian erzählt: „Ich habe mich für den Austausch beworben, da man über Amerika immer viel hört, ich aber mal meine eigenen Erfahrungen machen wollte.“ Seine Zwillingsschwester Lea reiste aus ähnlichen Motiven, wollte zusätzlich aber ihre Sprachkenntnisse verbessern. Carolina hatte sich spontan zu dem Austausch entschieden. Sie berichtete, dass sie auch später vielleicht ins Ausland wolle und sie sich deshalb überwunden habe, ihre Komfortzone zu verlassen. Für die Schülerin zählte auch der sprachkenntnisfördernde Faktor. „Ich wollte einfach mal ein paar Tage raus aus Deutschland und mal was anderes erleben“, begründet Alexander seine Entscheidung für den Austausch.
Der erste Kontakt mit den Austauschpartnern war bei allen Vieren sehr unterschiedlich: Einige schickten sich ab und zu schon ein paar Nachrichten, andere wurden mit Fotos und Informationen überladen. „Es ging grundsätzlich um das Besprechen von Plänen, Essensgewohnheiten und Sachen, die fürs spätere Zusammenleben wichtig sind“, sagt Carolina.
Die Vorfreude wurde mit jeder Planung größer, und so waren die Schüler der Q1 und Pia Plaar-Legrum erfreut, als die Reise endlich losging. In Kleingruppen wurden Schülerinnen und Schüler des Programms von betreuenden Lehrkräften während der kompletten Reise begleitet. Sie wurden im Frankfurter Flughafen zu Gates gebracht und an den nächsten Flughäfen wieder abgeholt. „Eigentlich waren wir nie auf uns allein gestellt“, stellt die Gruppe fest. Kleine Komplikationen konnten schnell gelöst werden – und so erreichten Christian, Lea, Carolina und Alexander nach mehreren Stunden Cleveland, Saint Louis, Knoxville und Loveland.
Pia Plaar-Legrum kam in Springfield unter und stand als Ansprechpartnerin für die deutschen Austauschschüler der Umgebung zur Verfügung. „In der ersten Woche findet immer ein Treffen der Kleingruppen statt. Da geht es dann darum, wie die Jugendlichen angekommen sind und ob es vielleicht irgendwo Probleme oder Redebedarf gibt.“ Ansonsten sind die Jugendlichen an keine Treffen gebunden und können voll und ganz in den Alltag in Amerika eintauchen. Die Warsteiner Gymnasiasten haben diese Erfahrung in vollen Zügen genossen.
Sie besuchten mit ihren Austauschpartnern die High-School, nahmen am Nachmittagsunterricht und den anschließenden Arbeitsgemeinschaften teil. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihnen die vielen Tests – alle aber Multiple-Choice. Den Unterricht fanden sie ziemlich vortragslastig. Carolina erzählt: „Wenn die Schüler und Schülerinnen sich mündlich beteiligt haben, haben sich die Lehrkräfte für ihren Beitrag bedankt und oft wiederholt, dass sie diesen zu schätzen wissen.“ Die mündliche Mitarbeit wurde ganz anders wertgeschätzt, was wohl daran lag, dass der Großteil gar nicht aufpasste. „Viele haben im Unterricht geschlafen oder waren am Handy, doch die Lehrer kommentierten das gar nicht“, berichtet Lea. Ganz anders als im deutschen Schulleben.
Besonders begeistert waren sie von den abstrakten Schulfächern und dem großen Angebot an Arbeitsgemeinschaften. Carolina erzählt vom Fach „Public Speaking“, bei dem die Schüler Reden zu bestimmten Oberthemen erarbeiten und vortragen. Sie beschreibt es als „super interessant, die Sichtweise von jungen Amerikanern zu Themen wie den Waffengesetzen, der Erderwärmung oder Schwangerschaftsabbrüchen“ zu erfahren.
Alexander sind vor allem die Plakate in Erinnerung geblieben, die die Schülerschaft mit Sprüchen wie: „Keep going“ oder „Don´t wish it was easier, wish you were better“ motivieren sollten, immer weiterzumachen, an sich zu glauben und an sich zu arbeiten.
Christian hingegen war beeindruckt von der AG seines Austauschschülers, der jeden Tag nach der Schule noch mit einer Schülergruppe Roboter baute und so programmierte, dass sie Frisbee spielten: „Ich finde Technik sehr interessant, deshalb hat es mir viel Spaß gemacht, meinen Austauschschüler bei diesem Projekt zu begleiten.“
Lea besuchte mit ihrer Austauschschülerin nach der Schule die Pfadfinder oder spielte Basketball mit ihr und ihren Freunden.
Alexander und sein Austauschpartner teilten die Interessen Sport und Musik, sodass Alexander viel Spaß dabei hatte, Sam bei seinen Proben, Gigs oder Sporttrainings zu begleiten.
Trotz der langen Tage versuchten die Gastfamilien, den deutschen Austauschschülern so viel wie möglich vom Land zu zeigen: „Wir haben viele Museen und Sehenswürdigkeiten wie den Arch St. Louis besucht“, erzählt Lea, und Carolina berichtet von ihrer Fahrt durch die Smokey Mountains und dem Besuch des Tennesee Aquariums. „Oft waren wir abends aber auch einfach mit den Freundinnen meiner Austauschschülerin unterwegs und haben etwas unternommen.“ Zusätzlich war sie einige Tage in Washington.
Christian berichtet von seinem Besuch in Washington und einem seiner Highlights: den Niagara-Fällen. Alexander verbrachte Ostern mit seinem Austauschschüler bei dessen Großeltern und lernte viele tolle Menschen kennen. Außerdem besuchten sie das Red River Gorge, die Natural Bridge und mehrere Fußball- und Baseballspiele.
„Während der Reise war es für mich wieder einmal faszinierend, wie offen und verantwortungsvoll die Jugendlichen aus beiden Ländern miteinander in Kontakt treten, kulturelle und sprachliche Herausforderungen meistern und viele unerwartete Freundschaften schließen“, erläutert Pia Plaar-Legrum. Sie hatte den vier Schülern geraten, vorsichtig die Meinungsverschiedenheiten zu erkunden und keine Konflikte zu provozieren. Denn in den drei Wochen wurden die Jugendlichen schon mit vielen Unterschieden konfrontiert: An den Schulen gab es mehrere Polizisten und teilweise Sicherheitsscanner für den Fall, dass jemand eine Waffe mit zur Schule bringt. Ein Austauschschüler erlebte einen Polizeieinsatz aufgrund eines Waffenverdachtes, eine Schülerin bekam zwei Tage aufgrund eines ähnlichen Falls frei. Die Q1-er berichten, dass ihnen in solchen Momenten erst richtig klar wurde, dass es sich bei einer Waffe nicht unbedingt „nur“ um ein Messer oder Ähnliches handeln könnte. Auch die alltägliche Begegnung mit Waffen und die gespaltenen Meinungen in den USA bereiteten ihnen ab und zu ein mulmiges Bauchgefühl.
Zudem berichtet die Gruppe, wie überrascht sie war, dass die 16-Jährigen wirklich fast alle ein eigenes Auto haben. Und nicht nur das: „Die fahren alle so riesige Autos, das ist gar kein Vergleich zu den Autos, die wir als groß bezeichnen“, merkt Christian an, und Carolina ergänzt: „Und dann sitzen da teilweise noch so kleine Leute hinter dem Steuer, das ist echt ein bisschen surreal.“
Generell empfanden sie viele Sachen in den USA als „viel größer“. Die Kühlschränke seien größer, die Schulen seien größer, die Eichhörnchen seien größer und vor allem die Essensportionen und Getränkebehälter seien größer. Die Erfahrungen mit dem amerikanischen Essen waren unterschiedlich: In der einen Familie gab es viel Fast-Food, in der anderen wurde täglich gekocht. Manche fanden es zu fettig, anderen schmeckte es sehr gut. Mit einem Grinsen erinnerten sich alle an die vielen, leckeren Snacks…
Die Sprachbarriere war tatsächlich nicht so groß wie von einigen erwartet. „Ich habe gemerkt, dass ich besser Englisch sprechen kann, als ich gedacht hätte“, berichtet Lea, und Pia Plaar-Legrum bestätigt das: „Die Amerikaner waren beeindruckt von den Sprachkenntnissen der deutschen Schüler. Alle konnten sich super verständigen, und es ist auch sehr spannend zu sehen, wie die Hemmschwelle des Sprechens mit der Zeit niedriger wird und wie sehr sich die Schüler verbessern.“
Genau dieser kulturelle Austausch ist entscheidend für das Bild der Jugendlichen über das jeweils andere Land. Kommentare wie: „Jemand hat mich mal gefragt, ob wir in Deutschland Erdbeeren haben“ und „Die waren total verwundert, dass es bei uns auch Netflix gibt“ führen immer wieder dazu, dass die Gruppe lachen muss. „Genau deshalb ist dieser Austausch so wichtig. Es geht um Kommunikation und Blickwinkelerweiterung: Ihr seid unsere kleinen Botschafter“, so Plaar-Legrum.
Christian, Lea, Carolina und Alexander blicken positiv auf den Perspektivwechsel zurück: „Ich hatte drei sehr schöne Wochen und habe viele tolle Momente erlebt und Menschen kennengelernt“, resümiert Carolina, und Alexander ergänzt: „Amerika hat wie Deutschland seine guten und schlechten Seiten. Glücklicherweise habe ich nur die guten kennengelernt, bin mir aber trotzdem der anderen Aspekte bewusst.“ Beeindruckt habe sie die Offenheit der Menschen: „Ich kannte deren Namen noch nicht, da waren wir quasi schon befreundet“, betont Lea.
Alle Vier würden jederzeit wieder an dem Austausch teilnehmen und empfehlen ihn definitiv weiter. Und Carolina und Alexander freuen sich schon auf den 27. Juni, wenn ihre Austauschpartner sie in Deutschland besuchen.
Warsteiner Anzeiger, 17.6.23, Leonie Craes
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