55-Jähriges mit Jugend im Blick

Veröffentlicht am 9. April 2019

Partnerschaftsbegegnung mit europäischer „Zukunfts“-Dimension

„Bienvenue, benvenuti, a heartfelt welcome, herzlich willkommen!“ Die Begrüßung der internationalen Gästeschar, die am Samstagmorgen zum Festakt „55 Jahre Partnerschaft St. Pol sur Ternoise – Warstein“ in die Aula des Europa-Gymnasiums gekommen war, brachte selbst Warsteins sprachgewandten Bürgermeister Dr. Thomas Schöne an seine Grenzen. Um zur Geburtsstunde der Städtefreundschaft zu gratulieren, waren Delegationen aus allen Partnerstädten angereist und so herrschte in der festlich geschmückten Europaschule italienisch-, englisch-, französisch-, deutsches Sprachengewirr. Wie gut, dass die Warsteiner Europafreunde (WEF) mit Marlene Lilje und Keno Haferkemper zwei Moderatoren engagiert hatten, die, wie die ehemalige WEF-Vorsitzende Birgit Wüllner respektvoll erwähnte, mit umfassenden Sprachkenntnissen und gut entwickelter Kommunikationsfähigkeiten brillieren konnten. Die beiden Abiturienten passen gut ins neue WEF-Konzept. Wüllner: „Wir haben die ältere Garde ein wenig rausgezogen und den jüngeren Leuten das Feld überlassen.“

Eine Entscheidung ganz im Sinne der St. Poler Bürgermeisters Maurice Louf. In seiner Festrede forderte er angesichts der sozialen, politischen und ideologischen Krisensituationen in vielen Ländern der Erde: „Unsere Städtepartnerschaft muss eine Dimension finden, die die neuen Generationen der St. Poler und Warsteiner anspricht.“ Die Freundschaft zwischen zwei Städten werde durch Begegnung und Austausch lebendig gehalten: „Es ist nun der Augenblick gekommen, Vorschläge für Aktionen zu initiieren, die Jugend anzusprechen und auf ihre Sorgen zu antworten.“

Zur Feier eines Geburtstages gehöre aber auch der Blick zurück: „Das ist ein starker und symbolischer Moment eines vor 55 Jahren durch die Pioniere und Begründer der Städtepartnerschaft begonnen Engagements.“ Mit Hilfe der Partnerschaften sei anfangs auf der Basis der Versöhnung ein besseres gegenseitiges Kennenlernen möglich gewesen: „Und wir sind davon überzeugt, dass nur durch diese menschliche Dimension und die Vertiefung dieser Beziehungen in all den aktuellen Städtepartnerschaften der Ausbau eines Europas des Friedens, der Solidarität und der Entwicklung erleichtert werden kann.“

An das „unermessliche Leid“, das zwei Weltkriege über Europa und die Welt gebracht haben, erinnerte Loufs Warsteiner Amtskollege Dr. Thomas Schöne: „In beiden Kriegen kreuzten Franzosen und Deutsche die Waffen, vielleicht standen sich auch Männer aus St. Pol und Warstein gegenüber.“ Dennoch sei der Wille zu Versöhnung und Frieden stärker gewesen, als Hass und Krieg. Alte Erzfeinde seien zusammen gekommen und hätten festgestellt, dass auf der jeweils anderen Seite keine Teufel in Menschengestalt wohnten, sondern einfach nur Menschen: „Menschen, die lachten und weinten, die ihre Familien liebten und sich um ihre Freunde kümmerten. Menschen die, hätten sie nicht jenseits der Grenze gelebt und eine andere Sprache gesprochen, eigentlich auch im Haus nebenan hätten wohnen können.“ Das frühlingshafte Geburtstagstreffen der europäischen Freunde dürfe heute aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es europapolitisch kalt und ungemütlich geworden sei. Grund zur Entmutigung bestehe aber nicht. Im Gegenteil: „Unsere Freundschaft, auch mit Hebden Royd und Pietrapaola und natürlich auch mit Wurzen, ist heute wichtiger denn je.“

Ihre Glückwünsche zum 55. Geburtstag verbanden die Bürgermeister Pietro Nigro (Pietrapaola) und Jörg Röglin (Wurzen) mit dem Dank für ein bereicherndes Netzwerk von grenzübergreifenden Beziehungen. Birgit Wüllner dankte abschließend allen, die zum Gelingen der Festveranstaltung beigetragen haben. Das Jugendorchester der Stadtkapelle, der Unterstufenchor des Europa-Gymnasiums und die Tanzgruppe Acrodance hätten mit ihren Beiträgen nicht nur für den festlichen Rahmen der Jubiläumsveranstaltung gesorgt: „Sie bereichern auch das Kulturleben unserer Stadt.“

Als „weitere Facette der Kultur, die derzeit an der Sekundarschule besonders gefördert wird“ bezeichnete sie den Lyrikbeitrag der Schülerinnen Alina Knapp und Geraldine Großmann. Auch im Hinblick auf das Interview der Moderatoren vom Europagymnasium mit Simon Prevost, einem Schüler des St. Poler „Lycée Albert Chatelet“ stellte sie fest: „Ihr alle habt uns gezeigt, wie lebendig und engagiert die Jugend ist. Ihr wart richtig toll! Macht weiter so!“

Mit dem Empfang im Europagymnasium erlebte das Städtepartnerschaftstreffen einen ersten Höhepunkt. Der Samstagnachmittag wurde dann von vielen genutzt, um „Land und Leute“ kennenzulernen. Für alle die, die im Stadtgebiet etwas Außergewöhnliches kennenlernen wollten, war eine Präsentation des Suttroper Kalkofens vorgesehen. Die Idee stammte von Hanne Willeke, die auch im Suttroper Heimatverein aktiv ist und es als gute Sache ansah, den Partnerstädten ein wenig von der Geschichte der Heimat zu erzählen. Die Führung wurde von Gerd Flaig durchgeführt, der natürlich auf die internationalen Gäste achtete und seine Sprachkenntnisse zum Vorschein brachte. So wurde zunächst ein Film gezeigt. Die Führung unter freiem und zudem noch schönem Himmel fand in drei Sprachen statt: Deutsch, Englisch und Französisch.

Abends dann die große Begegnung in der prall gefüllten Waldwirtschaft. Ein vor einiger Zeit spontan gegründeter „Europa-Chor“ hatte seinen großen Auftritt und erhielt viel Beifall. Natürlich durfte auch die deutsch-italienische Musik-Kooperation nicht fehlen. Die Musiker, mittendrin Burkhard Ochel, Detlef Holzhauer und Helmut Hiegemann von „Warstein Project“, gaben alles und versetzten den Saal in Begeisterung. Essen, Trinken, Gespräche und viel gute Laune prägten den Abend.

Am gestrigen Sonntag folgte dann der gemeinsame Gottesdienst und die Kranzniederlegung am Mahnmal. In seiner Predigt verwies Pastor Markus Gudermann darauf, wieviel Krisen oder Katastrophen es gebe, folgerte mit Blick auf die deutsch-französische Freundschaft, dass daraus Produktives erwachsen könne. Mit Blick auf die lange Geschichte der 55-jährigen Städtepartnerschaft empfahl er „Bereitschaft zur Veränderung.“ Er lobte, dass es in Warstein gelungen sei „eine kleine Europäische Union“ zu schaffen. Dies setzte Ortsvorsteher Dietmar Lange an der Orgel musikalisch in Improvisationen um – von der Europahymne, über die Eurovisions-Melodie bis hin zum bekannten „Warstein-Lied“ und der Marseillaise.

Warsteiner und St. Poler Feuerwehrleute trugen zwei mit Farben der Nationalflaggen dekorierte Kränze zum Mahnmal und legte diese nieder. Die beiden Bürgermeisrer Louf und Dr. Schöne erinnerten an das Leid, das der Krieg über die Menschen gebracht hatte. „Auf Freunde schießt man nicht“, wiederholte der französische Bürgermeister einen Satz, der auch bei den Fürbitten von Wolfgang Heppekausen und Marie-France Acquart schon gefallen war. Die Kranzniederlegung sei ein „würdevoller Höhepunkt“, sagte Dr. Thomas Schöne. Das Gedenken sei ein „Fundament der Freundschaft“. Er zeigte sich glücklich, dass man das Wochenende „in Frieden, wunderbarer Freundschaft und herzlicher Geselligkeit“ erlebt habe.

Und dann hieß es auch schon wieder Abschied nehmen: Nach einem kleinen Imbiss im Europagymnasium fuhr der Bus der Franzosen vor – und mit vielen Umarmungen, zahlreichen Erinnerungsfotos und auch ein bisschen Abschiedsschmerz setzte sich der Bus in Bewegung, begleitet vom Winken und Schwenken der Fahnen und Fähnchen. Angesichts des entstandenen Europa-Netzwerks dauert es aber gar nicht mehr lang. 2020 gibt´s den Gegenbesuch. Dann lädt auch Wurzen zu 30 Jahre Deutsche Einheit ein. und 2021 wird in Pietrapaola das 20-Jährige gefeiert. Und. Und. Und. Das Europa-Netzwerk mit Warstein mittendrin lebt und entwickelt sich rasant fort.

Warsteiner Anzeiger, 8.4.2019

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