Neuntklässler des Europa-Gymnasiums Warstein sammeln in dieser Woche ganz neue Erfahrungen. Sie finden viel über sich selbst heraus.
Einige Mädchen sitzen auf dem Boden und hören Musik. Ein paar huschen in Jogginghose und Socken vorbei, links wird gekichert, rechts wird genüsslich ins Pausenbrot gebissen. Vom normalen Schulalltag fehlt jede Spur: Vier Tage sind die Mädchen der neunten Klassen des Europa-Gymnasiums unter sich – und das abseits der Schule.
Das Projekt „Mädchenwelten“ findet im Paulus-Haus in Warstein statt. Hier sollen die Schülerinnen ihre Wünsche und Ziele erkunden und sich und ihr Umfeld besser kennenlernen. Dabei geht es vor allem um Freundschaft, Liebe, Partnerschaft und Sexualität. „Die Mädchen lernen ihre Grenzen zu erkennen und klar zu kommunizieren“, erklärt Dagmar Wiethoff, Chemie- und Philosophielehrerin des Europa-Gymnasiums.
„Sie üben einfach mal ,Nein’ zu sagen. Zum Glück sind sie noch nie in eine Situation gekommen, in der sie das mussten, vorher geübt haben es viele allerdings trotzdem nicht“, ergänzt Olga Tropmann, Erzieherin im Kinder- und Jugendtreff Warstein.
Die Schüler der neunten Klasse des Europa-Gymnasiums Warstein veranstalten eine Projektwoche zum Thema „Mädchenwelten/Jugendwelten“ im Paulus-Haus und im Jugendtreff Warstein.
Foto: Riem Karsoua
Die Probleme und inneren Konflikte zu kommunizieren, geschehen mit den unterschiedlichsten Methoden: So mussten die Mädchen die Umrisse ihres Körpers zeichnen und markieren, mit welchem Körperteil sie zufrieden sind und mit welchem weniger. Anschließend erhalten sie eine Komplimentkarte von ihren Mitschülern. Viele der Mädchen wussten allerdings nicht sofort damit umzugehen, wie Erzieherin Tropmann während der Übung erkannte. „Wir haben beobachtet, dass einige nicht genau wussten, ob sie das Kompliment wirklich annehmen können.“
Mädchen schreiben Brief an männliche Mitschüler
Jedoch gibt es auch eine weitere, positive Erkenntnis zu verzeichnen: Lehrer, Sozialpädagogen und Erzieher sind erstaunt darüber, wie wenig sich die Mädchen außerhalb ihrer Cliquen anfangs noch kannten, obwohl sie bereits seit Jahren in die gleiche Klasse gehen. Während des Projekts hat sich das geändert: „Die Atmosphäre untereinander ist sehr viel vertrauter geworden“, zieht Wiethoff ein Fazit nach den ersten drei Tagen.
Das Projekt „Mädchenwelten – Jungenwelten“ findet bereits zum 21. Mal statt. Das Gleichstellungsbüro der Stadt Warstein hat damals das Projekt initiiert und unterstützt es auch heute noch sowohl finanziell als auch organisatorisch.
In einem Brief an ihre männlichen Mitschüler äußerten die Mädchen ihre Wünsche und Vorstellungen an die Jungs. „Die positive Rückmeldung der Mädchen hat uns gestärkt“, erzählt der 15-Jährige Ben Schöne. Die Antwort darauf verfassten die drei Jungengruppen im Jugendtreff Warstein während ihres Projekts „Jungenwelten“.
Sexualität, Zukunft und Idealvorstellung des Mannes
Dort ging es um Sexualität, Zukunft und vor allem um die Idealvorstellung des Mannes. Hierfür wagten sie sich in die Innenstadt, befragten Männer über ihre Ideale und glichen die Aussagen mit ihrem in der Gruppe zuvor erstellten Bild ab. Ergänzt wurde diese Aufgabe mit der Befragung der Frauen in ihrem Umfeld nach ihren Vorstellungen und Wünschen an einen Mann.
Dabei wurden auch sie von Sozialpädagogen- und arbeitern unterstützt. „Das Positive für uns ist, dass noch einmal ein anderer Blick auf die Konflikte der Jungs geworfen wird“, erklärt Claus Finger, Sport- und Biolehrer des Gymnasiums. Das habe auch den Vorteil, dass die Schüler sehr viel offener über ihre Probleme sprechen können, ergänzt er. „Wir reden hier über Themen, über die wir nicht unbedingt mit unseren Eltern sprechen“, erzählt Ben Schöne.
Unterstützung von Sozialarbeitern
Sein Mitschüler Johannes Grundhoff erkennt während der Übungen die Parallelen zwischen ihm und seinen Mitschülern: „In unserer Gruppe teilen wir unsere Meinungen und Vorstellungen, die von den anderen Jungs ergänzt werden.“
Auch das Thema Sucht wurde im Jugendtreff offen kommuniziert: „Wir haben über soziale Netzwerke gesprochen und auch wie viel Zeit wir vor der Spielkonsole verbringen“, erklärt Bhamu Sahni, dem dabei bewusst wurde, welche Unterschiede es in der Freizeitgestaltung zwischen ihm und seinen Mitschülern offensichtlich gibt. „Ich habe in den vergangenen Tagen viel fürs Leben gelernt“, zieht Bjarne Beyer ein Fazit.
Westfalenpost, 6. Febr. 2019
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