Zur vierten Auflage des Warsteiner Kulturherbsts hat We Love Warstein den bekanntesten Poetry Slammer der Stadt aus seiner Wahlheimat Wien geholt. „Es ist sehr, sehr ungewohnt, nach langer Zeit wieder hier zu sein“, sagt er. Neben ihm sitzt Elias Hirschl, gebürtiger Österreicher, der aktuell im Bochumer Exil lebt und frisch gebackener Bachmannpreisträger – das ist der wichtigste deutschsprachige Literaturpreis – ist. Die beiden haben zusammen ein langes Werk über Toast verfasst, sind auf der Lesebühne in Wien aufgetreten und haben mit einem dritten Freund ein Musikprojekt gestartet. Und nun lesen sie gemeinsam in Fabian Navarros Geburtsstadt aus ihren Werken. Max Spinnrath verspricht einen „spannenden und ich glaube auch sehr lustigen“ Abend – und wird Recht behalten.
Wie man darauf kommt, einen Katzenkrimi zu schreiben? Nun, eigentlich war es Teil eines Spiels der Hamburger Lesebühne: Er bekam die Begriffe „Inhalator“, „Knabenkörper“, „Paraklausithyron“ und „Duschvorhang“ vom Publikum an die Hand und sein Kollege suchte das Genre Katzenkrimi aus – eigentlich um ihn zu necken, aber: „Ich hab’s geliebt“, erzählt Fabian Navarro. 30 Seiten waren schnell geschrieben und neben dem Auftritt auf der Hamburger Lesebühne war noch eine zweite Lesung geplant, am 17. März 2020. „Ja, schwierig“, sagt er und lacht. Lockdownzeit. Also hat er die Lesung gestreamt und die Autorin Jasmin Schreiber („Marianengraben“) schickte ihre Agentin zum Stream. Die fragte ihn anschließend, ob er das Buch nicht fertig schreiben wolle – und er wollte. „Miez Marple und die Kralle des Bösen“ war geboren. Es sei ein albernes Buch, erzählt er, in einigen Rezensionen stehe sogar „zu albern“. Aber wer bei so einem Titel und Cover einen seriösen Roman erwarte, „der sollte Thomas Mann lesen“. Und: Eigentlich sollte es ein Cozy Crime werden, sagt er, aber es sei sehr brutal geworden. Das, was er heute liest, ist in erster Linie aber herrlich komisch. Er entführt sein Publikum in die Parallelwelt, in der sein Krimi spielt, zur Katze Miez Marple, die bei der Schriftstellerin Agathe Christiansen lebt und nach langer Zeit als Detektivin nun ihrer zweiten Leidenschaft, der Lyrik, hingibt. Es ist herrlich, wie Navarro die Welt aus Katzenaugen beschreibt, wie sich immer wieder Anspielungen aufs wirkliche Leben einspielen – wie die Bellt-Zeitung, Schlagerstar-Kater Florian Silberstreif und der aufgefundene Tote, Berufs-Youtuber Schnurrjenko – wie er mit Katzensprache spielt und als besonderes Highlight die Schlager des Florian Silberstreif abspielt: „Verdammt, ich miez dich“ kommt beim Publikum genauso gut an wie „Kein Fell für eine Nacht“. Elias Hirschl hat während der Lesung die Hoheit über die Technik und spielt nicht nur die Schlager ab, sondern auch passende Geräusche wie Katzenmiauen oder Staubsauger.
In der zweiten Hälfte nimmt Elias Hirschl das Publikum dann mit in die Tiefen der österreichischen Politik. „Salonfähig“ heißt sein Roman, der im Sommer 2021 erschienen und eine Satire auf die Fans des Kanzlers Sebastian Kurz ist. Der war gerade noch an der Macht, als der Roman erschien, es war aber die Zeit, in der der Korruptionsskandal ans Licht kam. Im Roman geht es aber um die fiktive Partei „Die Mitte Österreichs“ und ihren Jugendableger „Die junge Mitte“. Der namenlose Protagonist, der in der Ich-Form erzählt, sei ein unwichtiger Typ in Elias Hirschl Alter, also um die 28, der den jüngsten Bundeskanzlerkandidaten der Geschichte, Julius Varga, vergöttert. Es geht um relativ junge politisch interessierte, komplett konservative Menschen, erzählt Hirschl, die die Organisation nur nutzen, um zu saufen. Es ist schon fast grotesk, wie der Protagonist die Welt sieht, wie er sich jedes Mal mit einem Stück Sachertorte belohnt, wenn er einem Bettler 20 Cent gibt und sich damit gutes Handeln antrainiert – damit aber schlagartig aufhört, als er für ein afrikanisches Patenkind spendet. Wie der Parteifreund Hannes Pointer aufzählt, welche Tierarten er bereits gejagt hat (ungefähr alle) und wie der DJ auf der Wahlparty trotz eines schlimmen Fahrradunfall auflegen muss.
Eine Journalistin der Süddeutschen Zeitung hätte einige Stellen als zu absurd empfunden, erzählt Elias Hirschl, aber so sei eben die österreichische Politik: sehr absurd. In der Schülerunion habe es etwa jahrelang öffentlich einsehbare Exceltabellen darüber gegeben, wer mit wem Sex hatte – inklusive Punktevergabe je nach Rangordnung und Preisverleihung am Ende des Jahres. „Das ist so ein typisch Österreichisches Ding“, sagt Fabian Navarro, „dass die Leute nachher denken: Warum war das denn jetzt ein Skandal?“
Am Ende ist nicht nur das Publikum glücklich, sondern auch die Veranstalter: Es waren genau so viele Leute da, wie nachher auch ins FH3 passen, sagt Max Spinnrath, der sich „auf jeden Fall zufrieden“ zeigt. Es waren Stammgäste da, „die die Lesungen hart abfeiern“, neue Gesichter und Stammgäste, die neue Leute mitbringen, erzählt er. Und für We Love Warstein sei es genauso schön, hier zu sein, wie für Fabian Navarro: „Ein Großteil von uns hat hier Abi gemacht und in der alten Penne zu sein und dass das wieder so unkompliziert geklappt hat, ist echt ganz toll.“ Die fünfte und letzte Lesung der Reihe, die von „Neustart Kultur“ gefördert wird, findet am 30. November statt: Da gibt’s mit Marie Adams und Lena Johannson eine „Ladies Night“ in der Wästerliebe.
Hannah Löseke, Warsteiner Anzeiger, 18.11.2022
Diesen Beitrag teilen:
Sie müssen den Inhalt von reCAPTCHA laden, um das Formular abzuschicken. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten mit Drittanbietern ausgetauscht werden.
Mehr Informationen