Es ist eine Veranstaltung der leisen Töne. Stille Anteilnahme, kein Applaus. Immer im November, Monat der weltlichen und kirchlichen Gedenktage, versammeln sich an der Treisekapelle auf dem Gelände der LWL-Klinik Menschen unterschiedlicher Generationen – Schüler ebenso wie Lebensältere –, um Geschichte aufzuarbeiten. Gemeinsam setzen sie am Totensonntag ein Zeichen gegen das Vergessen, gegen Ausgrenzung, Missachtung und Unrecht. Sie ehren die Opfer der Euthanasie in der NS-Diktatur und erinnern in Respekt an die 1575 Warsteiner Psychiatrie-Patienten, die in den Jahren 1940 bis 1943 beseitigt, gewaltsam abgeführt, transportiert, zwangsweise verlegt und systematisch in den Tod geschickt wurden. Eine – gemessen an jedem einzelnen Schicksal – unfassbar große Zahl. Die Angst, die die Betroffenen hilflos ausgestanden haben müssen, lässt sich nur ahnen. Die Geschichten der 1575 Frauen und Männer müssen immer wieder erzählt werden, das ist der Leitgedanke der Feierstunde, zu der in jedem Herbst Menschen kommen, die mit ihrem Engagement Stellung beziehen. Ihr Statement: Aus den Fehlern lernen und die Lehren aus den Schrecken gegenwärtig halten. Die Gedenkstätte Treisekapelle rückt die Namen der Toten in den Blick, deren Leben in der Nazi-Ideologie als nicht lebenswert galt.
„Es ist eine dunkle Periode, auf die wir zurückblicken, und es ist unsere Pflicht, darüber aufzuklären“, sagte am Sonntag LWL-Pflegedirektor Magnus Eggers. Und: „Lassen Sie uns klarstellen – kein Leben ist weniger wertvoll, weniger würdevoll und weniger bedeutsam als ein anderes. Jedes Leben hat seinen Wert in sich selbst.“ Die Toten mahnen, betonte er, „zur ernsthaften Verpflichtung, als Gesellschaft für das Leben einzutreten, für die Würde jedes Einzelnen und die Rechte jedes Menschen, unabhängig von Gesundheitszustand, Alter oder Fähigkeiten“. Magnus Eggers: „Wir müssen uns gegen Vorurteile und Diskriminierung einsetzen, und wir müssen die Würde und das Recht aller Menschen auf Leben und Fürsorge ausnahmslos verteidigen. Wir gedenken heute aller, die durch die Euthanasie ihr Leben verloren haben. Ihre Erinnerung lebt in uns weiter und treibt uns an, eine gerechtere und mitfühlendere Welt zu schaffen.“
Ein grauer Himmel, Kälte und Dauerregen begleiteten das Gedenken – trotzdem folgten die Warsteiner in großer Zahl der Einladung, an dem Tag, der den Toten gewidmet ist, einige Minuten innezuhalten und nachzudenken, sich zu darauf besinnen, wie es Bürgermeister Dr. Thomas Schöne formulierte, „was wichtig ist an den Werten der Gesellschaft.“ Er hielt eine Plakette in der Hand. Auf dem kleinen Stück Metall steht ein Name: Wilhelm Schierl. Thomas Schöne stellte Wilhelm Schierl exemplarisch als einen der Menschen von vielen vor, die auf der Tafel in der Treisekapelle genannt werden und nachträglich Wertschätzung erfahren. Der Bürgermeister gehört zu den Paten, die alle gemeinsam deutlich machen, was sie als Auftrag und Verantwortung sehen: „Nie wieder!“
Mit Dominik Becker und Kcenia Klassen – beide Neuntklässler der Sekundarschule – sowie Constanze Theurich, Lina Mast, Maria Temmen und River Neumann vom Europagymnasium Warstein wandten sich sechs junge Menschen an die Zuhörer. Die Gymnasiastinnen sprachen über Erfahrungen und Eindrücke einer Reise ihres Projektkurses nach Auschwitz, zu einem Ort, wie sie es in ihrem Text festgehalten haben, „der eine unergründliche Tragödie der Menschheitsgeschichte birgt“ und „für unvorstellbares Leid steht“. Der Besuch sei eine tiefe Auseinandersetzung mit der Geschichte des Holocausts und des Zweiten Weltkrieges gewesen. „Dieses Leid der Menschen darf sich nicht wiederholen. Wir als Gemeinschaft müssen dafür sorgen“, sandten die Schülerinnen einen klaren Appell aus. Allen Jugendliche sollte ihrer Meinung nach die Möglichkeit gegeben werden, nach Auschwitz zu fahren, um mit eigenen Augen zu sehen, was im Vernichtungslager passiert ist, und die Grausamkeiten zu begreifen.
Ein furchtbares Geschehen – und furchtlose Frauen: Die Biografin Erika Rosenberg-Band gelang es mittags eindrucksvoll, beide Themen zu verknüpfen. Sie beleuchtete zum Abschluss der Kunstausstellung mit Werken von Oliver Schäfer das Wirken von Emilie Schindler, die bereit war, für die Rettung von Menschen ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen.
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