Gedenken an die Reichspogromnacht – mit einem Beitrag von Max Spinnrath (Abi13)

Veröffentlicht am 11. November 2019

Am vergangenen Freitag gedachte die Gemeinde der Reichspogromnacht. Unser ehemaliger Schüler Max Spinnrath fand mahnende Worte.

Circa 50 Warsteiner Bürgerinnen und Bürger gedachten am vergangenen Freitag der Reichspogromnacht in Warstein und blickten dabei auch in die Gegenwart und Zukunft.

Neben den einleitenden Worten von Bürgermeister Dr. Thomas Schöne, einen Einblick in die Geschichte der jüdischen Warsteiner Familien durch Jürgen Köster, der Moderation der Gedenkveranstaltung durch Dietmar Lange und musikalischer Umrahmung, fand unser ehemaliger Schüler Maximilian Spinnrath deutliche Worte zu dieser schrecklichen Vergangenheit. Aber auch sein Blick in Gegenwart und Zukunft ist äußerst lesenswert:

 

Gedanken zur Pogromnacht, 8. Nov. 2019, 17:00 Uhr, Warstein

Zitat: „Eine Erinnerungsstätte (…) gewidmet (den) 1,5 Millionen von den Nazis ermordeten jüdischen Kindern (…). Im Hintergrund werden rund um die Uhr die Namen, das Alter und der Geburtsort der Kinder verlesen. Dieses Endlosband braucht ungefähr drei Monate, um alle Namen wiederzugeben.“

Dieses Zeitungszitat zur Holocaust-Gedenkstätte in Yad Vashem in Israel verfolgt mich bereits seit einem Jahr. Für mich lässt es die unbeschreibliche Grausamkeit von damals und die damit verbundene Opferzahlen von 6 Millionen industriell ermordeten Menschen in Ansätzen greifbar werden – auch wenn sich das Ausmaß des Verbrechens wohl nie ganz begreifen lässt.

Wir stehen hier heute zusammen, weil vor 81 Jahren die Nationalsozialisten mit den über vier Tage dauernden reichsweiten Pogromen den Beginn des Holocausts initiierten.

Von der Ausgrenzung und Diffamierung hin zur systematischen Verfolgung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Wir stehen hier heute zusammen, weil sich die Angriffe auch in unserer Heimatstadt ereigneten. 12 Stolpersteine erinnern an die drei jüdischen Familien in unserer Kernstadt, die auch Opfer der Zerstörungen und der Verhaftungen geworden sind.

Wir stehen hier heute zusammen, um ihnen und auch allen Verfolgten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken.

Was heißt Gedenken?

Ich stehe heute mit euch hier zusammen, als 26-Jähriger, aufgewachsen in der friedlichsten Epoche dieses Kontinents und habe Angst. Angst, dass das, was ich nur aus Erzählungen und dem Geschichtsbuch kenne, sich wiederholt.

Angst, dass die Ausgrenzer, die Menschenfeinde, die Verführer wieder erstarken.

Angst, dass diese Menschen sich hinterher aussuchen können was gesagt werden darf und wer dazu gehört.

Angst, dass diese Menschen am Ende demokratisch legitimiert genau das machen dürfen.

Was heißt Gedenken?

Als 26-Jähriger trifft mich keine Schuld. Ich habe damals noch nicht gelebt, wie wahrscheinlich die meisten Menschen, die hier heute stehen.
Doch trifft meine Generation eine Pflicht. Ein Pflicht, wie sie auch jede vorherige und jede nachkommende Generation trifft:

Die Pflicht, nicht zu vergessen. Wir dürfen nicht vergessen!

„Wer die Vergangenheit nicht kennt, wird blind für die Zukunft“, heißt es. Nirgendwo trifft es mehr zu, als hier.

Wir dürfen nicht vergessen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass der widerwärtige Anschlag in Halle, die Ermordung von Walter Lübcke, ebenso wie die verbrannte Asche der jüdischen Kinder in Auschwitz nicht den Beginn, sondern das Ende einer Entwicklung darstellen.
Hitler und seiner Schergen postulierten Anfang der dreißiger Jahren nicht Aussagen wie „wir werden jeden töten, der nicht in unser Weltbild passt“, oder „der industrielle Massenmord und die gewaltsame Unterwerfung anderer Völker ist unser Ziel!“

Nein. Hitler und seine Gefolgsleuten sagten Sätze wie: „Wir sind mehr wert als die anderen“, oder „sieh, die Juden, sie sind an allem Schuld. Ohne ihnen geht es uns besser“, oder auch Sätze wie: wir leiden „unter einem Befall von Schmarotzern und Parasiten, die dem deutschen Volk das Fleisch von den Knochen fressen“.

Ok. Letzteres ist kein Zitat von damals, sondern eine Aussage, die von einem Politiker vor nicht all zu langer Zeit unter großem Beifall gelassen
wurde.

Wir dürfen nicht vergessen, dass vor der Ermordung, die Verfolgung, davor die Ausgrenzung und die Diffamierung kommt.
Das Aufwiegeln, das Anstacheln, das „Wir“ gegen „die“, der Rassismus – der Hass.

Wir dürfen nicht vergessen. Wir dürfen nicht hassen. Hass macht blind.

Denn vor Taten kommen Worte, kommen Gedanken.

Die Glut für die Öfen der Vernichtungslager wurde in den Köpfen der Menschen entfacht.

Die Pistolen für die Ermordung von Menschen werden in den Köpfen geladen.

Wir dürfen nicht vergessen. Wir dürfen nicht hassen.

Das fängt bei einem selbst an, rassistische Klischees in unseren Gedanken zu sprengen. Das geht weiter im Bekanntenkreis, wenn in einer Bierlaune gegen vermeintlich Andere „kurzer Prozess“ gefordert wird. Und das geht weiter unter Fremden in der U-Bahn, wenn Mitmenschen angefeindet und bedroht werden.
Es war eine Gruppe überzeugter fanatischer Nazis, welche die Welt in den Abgrund stürzte.

Doch es war eine noch viel größere Gruppe von Menschen, die sie schweigend gewähren ließen.

Wir dürfen nicht schweigen.

Sie schwiegen, waren nicht laut, bis sie nicht mehr laut sein konnten.

Wir müssen laut sein!

Wir stehen hier heute zusammen, weil wir derer Gedenken, die Opfer des Hasses geworden sind.

Wir stehen hier heute zusammen, weil wir nicht schweigen dürfen.

Wir stehen hier heute zusammen, weil wir laut sein können, weil wir laut sein müssen!

Wir stehen hier heute. Wir stehen hier zusammen.

Gedenken heißt, nicht zu vergessen. Nicht zu vergessen heißt, nicht zu schweigen!

Kein Zentimeter dem Hass, kein Vergessen. Nie wieder.

Max Spinnrath, November 2019.

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