Ein Richter zu Gast im Religionsunterricht

Veröffentlicht am 2. April 2019

Im Religionsunterricht bekam die Klasse 8a am 26. März Besuch von Dr. Florian Bartels, ehemaliger Schüler unserer Schule und inzwischen Richter am Landgericht Essen. Zur Verhandlung stand an der „Fall Josef“. Während der Sachverhalt weitestgehend geklärt werden konnte, ist er doch bekannt aus dem 1. Buch Mose, warfen Schuld der Täter und deren gerechte Bestrafung komplizierte Fragen auf.

Der „Fall Josef“ ist schnell berichtet: Unter mehreren Brüdern sticht Josef hervor. Er wird von seinem Vater Jakob bevorzugt, gibt damit vor den anderen Brüdern an und erwähnt Träume, in denen er eine Sonderstellung einnimmt. Die Brüder wollen ihn loszuwerden. Sie verabreden zunächst, Josef zu töten. Sie bekommen jedoch letztlich Hemmungen, rauben aber seine Kleidung, sperren ihn in einen Brunnen und verkaufen ihn schließlich für 20 Silberlinge an eine Handelskarawane, die ihn nach Ägypten bringt.

Dieser biblische Fall (1. Mose 37) beschäftigte die Klasse im Religionsunterricht zum Thema Schuld und Vergebung und wurde Gegenstand eines Rollenspiels in Form einer Gerichtsverhandlung, in der die SchülerInnen in die Rolle der Richter, des Staatsanwalts, des Angeklagten und dessen Strafverteidigers sowie der Zeugen schlüpften. Das Urteil, das die „Richter“ verkündeten, neun Jahre Freiheitsstrafe, löste bei den Verfahrensbeteiligten und vielen Zuschauern im „Gerichtssaal“ Empörung aus. Es entstand eine lebendige Diskussion über Schuld, Strafe und Gerechtigkeit, zu deren Klärung die Klasse schließlich einen „echten“ Richter einlud.

Dieser Einladung kam Dr. Florian Bartels gerne nach. Nach seinem Abitur in Warstein studierte Dr. Bartels Rechtswissenschaften und promovierte zum Insolvenzrecht an der Universität Bielefeld. Nach seinem Eintritt in den Richterdienst war Dr. Bartels u.a. als Zivil- und Familienrichter tätig sowie an das Ministerium der Justiz (Landesjustizprüfungsamt) in Düsseldorf abgeordnet. Zurzeit ist er beisitzender Richter in einer Großen Wirtschaftsstrafkammer. Beste Voraussetzungen also, um die viele Fragen der SchülerInnen zu grundlegenden Themen wie Recht und Gerechtigkeit, aber auch dazu, wie man eigentlich Richter oder Rechtsanwalt wird, zu beantworten. Die SchülerInnen nutzten die Gelegenheit und stellten auch Fragen, etwa zum Jurastudium und zum Beruf des Richters, zu persönlichen Ansichten, beispielsweise nach seiner Meinung zur Todesstrafe, oder danach, ob man als Richter Angst habe, einem Verurteilten nach der Urteilsverkündung vor dem Gerichtsgebäude zu begegnen.

Die SchülerInnen lernten den Aufbau eines Gerichtssaals und den Ablauf einer Gerichtsverhandlung kennen, zum Beispiel, warum der Staatsanwalt immer an der Fensterseite sitzt, mit wie vielen Richtern das Gericht besetzt ist oder was Aufgabe eines Strafverteidigers ist und dass der Ruf „Einspruch“ in Deutschland nicht stattfindet. Dass Rechtsfragen aber nicht nur in einer Gerichtsverhandlung geklärt werden, sondern den Alltag eines jeden Menschen bestimmen, wurde den SchülerInnen bewusst, als sie Fragen stellten, die sie persönlich betreffen: Darf man, wenn die Eltern einen begleiten, ein Konzert ab 18 Jahren besuchen? Könnte man einen aufgebrachten Nachbarn, der nach einem „Klingelmännchen“ mit Mord droht, anzeigen? Dürfte einem Schüler im Unterricht der Toilettengang verweigert werden?

Und wie werden nun Josefs Brüder gerecht bestraft? Dr. Bartels erklärte, dass zunächst zu prüfen ist, welcher Straftatbestand aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts verwirklicht wurde: Sie haben sich strafbar gemacht wegen tatmehrheitlichen Raubes, Freiheitsberaubung und Entziehung Minderjähriger. Es galt im Anschluss, eine gerechte Strafe zu finden. Zunächst waren die Strafrahmen, die das Strafgesetzbuch für diese Taten vorsieht, zu finden: Für den Raub der Kleidung Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bis zu 15 Jahren, für die Freiheitsberaubung Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, für die Entziehung Minderjähriger gegen Entgelt Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Innerhalb dieser Strafrahmen war jeweils eine schuldangemessene, also eine gerechte Strafe zu finden, die sämtliche Aspekte der Tat, der Person der Täter und der Folgen für das Opfer zugunsten und zulasten der Brüder Josefs berücksichtigt. Die Einzelstrafen werden allerdings nicht, wie zuvor im Unterricht diskutiert, addiert, sondern die schwerste Strafe wird zu einer Gesamtfreiheitsstrafe angemessen erhöht. Schlussendlich hielt der „echte“ Richter eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren für angemessen – gar nicht weit von den neun Jahren der Richter der 8a entfernt.

Am Ende der Doppelstunde durften die SchülerInnen die mitgebrachte Richterrobe anprobieren und konnten in den dicken Gesetzbüchern blättern, die Dr. Bartels mitgebracht hatte. Trotz der dickbedruckten dünnen Seiten und der komplizierten Rechtfragen, die im Unterricht aufgekommen waren, wollten nicht alle SchülerInnen ausschließen, eines Tages Rechtswissenschaften zu studieren.

 

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