Die Ehemaligen der Oberprima B von 1974 trafen sich am Wochenende in Warstein, um gemeinsam ihr Abitur vor 50 Jahren zu feiern. Aus allen Richtungen Deutschlands waren sie angereist, um dieses Jubiläum gemeinsam zu begehen und sich an die aus ihrer Sicht schöne und prägende Schulzeit zu erinnern.
Mit einem Festakt im Haus Kupferhammer am Samstagmorgen fing das Erinnerungsprogramm für die ehemaligen Schülerinnen und Schüler des Warsteiner Gymnasiums an. Nachdem Paul Köhler als Vorsitzender der Kupferhammer-Förderer die Einführung mit den wichtigsten Daten zum historischen Haus gegeben hatte, leitete Prof. Dr. Robert Jütte zum „Schulischen“ über mit seinem eigentlich wissenschaftlichen, aber mit vielen humorigen Einwürfen gespickten Vortrag mit dem Thema „Eine Fallstudie aus gegebenem Anlass“. Als Leitfaden für seine Festrede hatte Jütte einige Fotos aus der gemeinsamen Schulzeit ausgewählt. Inspiriert durch den französischen Kulturtheoretiker Roland Barthes hatte er dabei solche Bilder gewählt, die den „besonderen Moment“ eingefangen hatten – und damit konnte er auch zu seiner eigentlichen Aussage kommen: die besonders gute Erinnerung an eine außergewöhnlich gute Schule, in der er zu einer ganz besonderen Klasse gehören durfte.
Gern erinnerte Jütte sich an den guten Zusammenhalt, die Begeisterung für den Unterricht, der von gut vorbereiteten Lehrern gestaltet wurde und die Schüler zu außergewöhnlich guten Leistungen beflügelte. Aber daneben gab es auch immer genügend Raum für Klassenreisen, Feste und prägende zwischenmenschliche Begegnungen.
Bei einem anschließenden Umtrunk wurden dann noch viele „Dönekes“, auch mit dem 86-jährigen Französisch-Lehrer Josef Schulte, ausgetauscht.
Am Nachmittag traf sich die Klasse dann erneut zum Rundgang, diesmal durch die alte Schule, das heutige Europa-Gymnasium. Da war das Staunen groß, was inzwischen aus der „guten alten Penne“ geworden ist. Unter Führung von Arthur Feller gingen die alten Schülerinnen und Schüler – mitunter Hand in Hand – durch die vertrauten, aber neu gestalteten Räume und Flure und schwärmten erneut von ihrer so positiv erlebten Schulzeit. Das war auch noch bei dem anschließenden gemütlichen Beisammensein im Warsteiner Lindenhof das Thema des Abends: Man hatte durch den festen Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung „die Schule des Lebens“ gemeistert…
Gitti Oevermann, Warsteiner Anzeiger vom 04.09.2024
Jahrgangsmitglied Prof. Dr. Dr. h.c. Robert Jütte aus Stuttgart blickte anlässlich des Abiturjubiläums zurück auf die gemeinsame Zeit:
„Nach der Erteilung des ehrenvollen Auftrags, die Festrede zum Thema „’Eine Schule fürs Leben’ – Eine Fallstudie aus gegebenem Anlass“ zu halten, war ich an einem schönen Frühlingstag des Jahres 2024 auf der Suche nach geeigneten Illustrationen. Da fiel mir das alte Familienalbum in die Hände. Aber welches Foto würde meinen Zweck erfüllen? Bei dem französischen Kulturtheoretiker Roland Barthes findet sich der Rat: solche Fotos, „die stillen Jubel in mir auslösten, so als rührten sie an eine verschwiegene Mitte – einen erotischen Punkt oder eine alte Wunde – die in mir begraben war (wie harmlos auch immer das Sujet sein mochte“ ;Die helle Kammer, S. 25).
Es kam nur eines in Frage: Ein Foto, auf dem ich zusammen mit unserem Englischlehrer Richard John Taylor bei der Rückkehr von einer Klassenfahrt nach London zu sehen bin. Welche Erinnerungen löst das Foto, das mich beim Schachspielen auf der Fähre zwischen Dover und Ostende mit einem meiner Lieblingslehrer zeigt, bei mir aus? Zunächst tiefes Bedauern, dass er heute nicht mehr unter uns weilt. Ein anderer, nach Roland Barthes eher intersubjektiver Zugang zum Foto ist das sogenannte „Studium“. Dieser Blick liefert uns den Schlüssel zur Beantwortung der zentralen Frage meines heutigen Vortrags, warum eine nur auf den ersten Blick als Feld-Wald- und Wiesen-Gymnasium erscheinende Bildungsstätte uns, den Abi-Jahrgang 1974 (ich kann nur für die Abiturientia 1974 b sprechen), so stark geformt und gebildet hat. Dazu muss man wissen, was nach dem neuesten pädagogischen Erkenntnisstand einen guten Lehrer oder eine gute Lehrerin ausmacht: Eine gute Lehrkraft ist vorbereitet und strukturiert. Eine gute Lehrkraft weiß, wann sie mit Strenge oder mit Humor reagieren muss. Eine gute Lehrkraft ist eine Vertrauensperson. Eine gute Lehrkraft kommuniziert stets klar und deutlich
Alle diesen Eigenschaften zeichnete nicht nur Richard John Taylor, sondern die meisten unserer Lehrerinnen und Lehrer aus. Man wusste, woran man war, auch leistungsmäßig. Nur drei von uns aus der Oberprima b schafften einen Schnitt von unter „2,0“ nach alter Notenskala, nicht nach dem Punktesystem! Heute wären es vermutlich ein Drittel bis die Hälfte.
Nicht nur unsere Lehrkräfte, auch die Schulleitung zeigte in unserer Gymnasialzeit beeindruckende Führungsqualitäten. An einen dieser Direktoren, die wegweisende Entscheidung trafen, möchte ich heut erinnern, Dr. Gerhard Schrick (1969-1989). Zu seinen großen Verdiensten gehört: Er führte 1970 ein, dass sich die Oberprimaner selbst entschuldigen durften. Er akzeptierte, dass unsere Klasse 1971 Bildungsgeschichte in NRW schrieb, indem wir zusammen mit unseren Eltern unisono ablehnten, Versuchskaninchen für die ein Jahr später per Gesetz eingeführte Reformierte Oberstufe zu werden! Auch hatte er nichts gegen den ersten Schülersprechtag im Jahr 1970, bei dem wir Klassen- und Fachlehrern unsere Nöte und Wünsche mitteilen konnte. Die Schülermitverwaltung hat durch ihn im Warsteiner Gymnasium ein erstes zartes Pflänzchen bekommen.
Aber für uns als Klasse war eine Entscheidung in seiner frühen Amtszeit viel entscheidender und prägender: Er sorgte dafür, dass der Lehrermangel im Fach Englisch auf ungewöhnliche Weise gemildert wurde, nämlich durch die Einstellung zweier englischer Lehrkräfte, darunter der unvergessene Richard John Taylor. Übrigens auch in den MINT-Fächern herrschte damals schon Lehrermangel. So sorgte Dr. Schrick dafür, dass wir Ingenieure von der AEG bekamen, die samstags (!) Chemie unterrichten, wie z. B. Herr Schimmer, der den Siedeverzug uns so erklärte: „Schrumms da geht die Pfeife los“.
Nach 50 Jahren ist es spannend zu sehen, was aus unseren Berufswünschen, die wir nach dem Bestehen des Abiturs für die Lokalpresse zu Papier bringen mussten, geworden ist. Nun: Einige haben, wie wir heute wissen, tatsächlich den Wunschberuf ergriffen, andere haben sich anders entschieden. Aus allen ist etwas geworden.
Was man auch immer in den letzten 50 Jahren beruflich getan hat, eines ist sicher: es war das Warsteiner Gymnasium, das uns nicht nur die nötige Allgemeinbildung mit auf dem Weg gegeben hat, sondern auch die Bildung fürs Leben. Und davon profitieren wir auch weiterhin als sogenannte Golden Agers.“
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